Ende Juni habe ich an einer Ausbildung zum OKR-Master von die.agilen teilgenommen. Auch wenn mir Objectives & Key Results schon länger ein Begriff waren, hatte ich vorher kein vollständiges Bild, wie dieses Framework in Organisationen richtig wirksam wird. Vielleicht geht es euch ähnlich. In diesem Post schreibe ich über drei zentrale Fehlannahmen, die über OKR kursieren - und gebe euch Tipps, um es besser zu machen.
Mein Certified OKR Master Training wurde von Danny Hübner begleitet
Fehlannahme 1: OKR ist ein Zielsetzungstool für ein effektiveres Tagesgeschäft.
Wer sich mit Objectives und Key Results auseinandersetzt, hört oftmals als erstes davon, dass dort in einer Quartalslogik messbare Ziele definiert werden. Manche Organisationen haben auch auf Tertiale umgestellt, durchlaufen den OKR-Zyklus also alle vier Monate. Schon öfter ist mir die Annahme begegnet, dass man sich mit OKR im Team, in der Abteilung oder im gesamten Unternehmen regelmäßig Ziele setzt, um Struktur ins Tagesgeschäft zu bringen. Das ist in dieser Form jedoch falsch. Stattdessen gilt:
Objectives und Key Results sind ausschließlich für die Strategiearbeit ("change the business") gedacht.
Ein OKR Set orientiert sich an der Unternehmensvision und einem circa einjährigen Mittelfristziel ("Moal"). Das Objective ist eine qualitative und Outcome orientierte (s. Fehlannahme 3) strategische Fokussierung für die nächsten 3-4 Monate. Darunter stehen pro Objective meist 2-3 Key Results, die die Erreichung dieses Fokusziels messbar machen.
Es geht bei OKR also um die Bearbeitung komplexer Ziele, die auf die Weiterentwicklung der Organisation oder des Produktportfolios gerichtet sind. Diese Entwicklungsziele können perspektivisch auch Auswirkungen auf das Tagesgeschäft ("run the business") haben. Zunächst einmal geht es bei OKR aber darum, einen Schutzraum aufzuspannen, in dem fokussiert und regelmäßig an strategischen Zielen gearbeitet wird. Und zwar parallel zum Tagesgeschäft.
Fehlannahme 2: OKR helfen der Geschäftsführung bei der Steuerung der Organisation.
In Zeiten und Marktumfeldern, die durch immer mehr Unvorhersehbarkeit bzw. Chaos (VUCA wird zu BANI) geprägt sind, ist es für Unternehmenslenker:innen verlockend, die Steuerbarkeit ihrer Organisation zu erhöhen. Objectives und Key Results werden in diesem Zusammenhang teils als Tool betrachtet, um Ziele von oben nach unten zu kaskadieren und die Zielerreichung einzelner Team oder sogar Mitarbeiter:innen kontinuierlich zu messen. OKR sind jedoch weder als Command & Control- noch als Performance Management-Werkzeug geeignet. Stattdessen gilt:
Objectives und Key Results benötigen entscheidungsbefugte, intrinsisch motivierte Teams. Und: Weil OKR eine Wette auf die Zukunft sind, sind sie nicht zur Leistungsbeurteilung geeignet.
In Organisationen, die strategische Ziele nach OKR-Logik bearbeiten, erhalten Teams vom Top-Management ein hohes Maß an Autonomie. Natürlich haben sie Schnittstellen und operieren nicht im luftleeren Raum: Es gibt Vorgaben wie eine Unternehmensvision sowie langfristige und mittelfristige betriebswirtschaftliche Ziele (z.B. "mehr Neukunden gewinnen" oder "die Digitalisierung stärken"). Die Ableitung, welche Objectives und Key Results sich ein Team für den nächsten Zyklus vornimmt, liegt jedoch einzig und allein bei diesem Team selbst. Zwischen den Teams gibt es Abstimmungen, damit zwischen verschiedenen OKR Sets keine Redundanzen entstehen. Aber: Objectives und Key Results schränken Eigenverantwortung und Selbstorganisation nicht ein, sondern fördern sie.
Außerdem sind OKR hypothesenbasiert, fußen also stets auf der Annahme, dass eine bestimmte Kombination von Input und Output innerhalb eines Zyklus ein gewünschtes Ergebnis (Outcome, s. Fehlannahme 3) produziert. Natürlich kann so eine Annahme falsch sein. Wäre es nicht wahnsinnig, ein derart spekulatives Gerüst zur individuellen Leistungsmessung und -beurteilung heranzuziehen? Genau dies geschieht aber, wenn OKR und Performance Management verquickt werden. Auch wenn es zum Beispiel einzelne Pat:innen für Key Results gibt - OKR sind stets als Teamziele zu betrachten. Das Team braucht die Freiheit zu sagen, dass ein selbstgestecktes Ziel trotz größtem Einsatz nicht erreicht wurde - ohne, dass die eigene Vergütung daran hängt.
Fehlannahme 3: OKR beschreiben genau, woran Teams und Organisationen im nächsten Zyklus arbeiten werden.
Genauso, wie sich Scrum und SAFe nur dort eignen, wo das Tagesgeschäft agil abläuft, ist OKR für agile Strategiearbeit gedacht. Wenn ich als Monopolist in einem hochregulierten Markt unterwegs bin, kann ich Strategien viel vorausschauender entwickeln. Viele Unternehmen sind jedoch in so komplexen Umfeldern aktiv, dass sie keine 5-Jahres-Strategien mehr erarbeiten können. Für sie ist es besonders verlockend, beim Formulieren von OKR einfach ihren strategischen Output zu beschreiben:
"Wir launchen drei neue Produkte."
"Wir veröffentlichen 25 neue Stellenausschreibungen."
"Wir sprechen mit zehn potenziellen Investor:innen."
Zwar würde ein Team mit derartigen Zielsetzungen sehr genau festlegen, was es tut, aber es hätte die Idee von OKR dennoch vollkommen verfehlt. Die Zielerreichung wird bei OKR nicht am Output gemessen. Stattdessen gilt:
Objectives und Key Results beschreiben stets Outcomes - also die Veränderung im Verhalten von Menschen (z.B. Kund:innen, Mitarbeiter:innen oder Partner:innen).
Exemplarisch erkennen wir dies an folgendem Beispiel einer Bäckerei:
Input, Output, Outcome, Impact - Beispiel von die.agilen
Übertragen auf die Entwicklung verschiedener Produkte und Dienstleistungen bedeutet das: Es reicht nicht, ein Angebot auf den Markt zu werfen, zu bewerben und sich zurückzulehnen. Wenn sich keine erhöhte Nachfrage an dem Angebot oder am Unternehmen als solches einstellt, ist das Ziel nicht erreicht.
Diese Orientierung am Ergebnis der eigenen Arbeit stünde aus meiner Sicht vielen Organisationen gut zu Gesicht - egal, ob sie mit OKR arbeiten oder nicht.
Welche Fehlannahmen über OKR sind euch schon in der Praxis begegnet? Ich freue mich auf den Austausch und darauf, dieses Framework ab sofort stärker in meine Arbeit einfließen zu lassen.
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